Rückschau

Rheinische Post Hinhören statt Hinformieren
jvh-Mitglieder aus NRW besuchten "Listening Center" der Rheinischen Post - Neues redaktionelles Analysewerkzeug durchsucht 400 Mio Quellen

290.000 Printauflage und Leser der "Rheinischen Post", Tendenz langsam abschmelzend, dafür aber 20 Mio Nutzer auf RP Online und 100 Mio Zugriffe auf die insgesamt mehr als 80 hauseigenen Social Media Portale, Tendenz stark steigend: Daniel Fiene hat beim Besuch mehrerer Sprecher der NRW-Handwerkskammern und jvh-Mitglieder die Fakten zum Rezeptionsverhalten der Nachrichtenkonsumenten der Rheinischen Post Mediengruppe aus dem Eff-Eff parat. Kein Wunder, denn der Leiter des "Audience Engagement Teams" ist das Trüffelschwein des Düsseldorfer Verlagshauses. Er analysiert, wo die (potenzielle) Kundschaft steckt und sich (real) zeigt - und was sie bewegt.

Sein virtueller Riecher nutzt ein Finde-Raster aus 70 Stichworten oder Themen, smarte Algorithmen werfen in Echtzeit Zahlen und Skalen über "Düsseldorf", den "Verkehr" oder "Fußball" auf Bildschirme in den News-Großraum und bündeln die Trouvaillen in Wort-Bild-Fragmenten, die aufnehmen, wer da draußen zum Beispiel gerade auf die News von der Fake-Airline mit Sitz in Leverkusen reagiert, und wenn ja, wie viele. "Listening Center" nennt sich die neue Herzkammer im Nachrichtenlabor der RP, und die Entscheidung, welche News über den Tag weiterverfolgt werden, fällen mit den Screens vernetzte Dreier-Teams aus allen medialen Produktbereichen und Ressorts des Medienhauses.

Vor allem den Lokalredakteuren soll das ausgefilterte Informationsbild helfen, "den" Berichtsstoff zu finden, der "die Leute umtreibt", und Freiräume fürs Gestalten eigener Inhalte zu schaffen. Der journalistische Anspruch: "Wir sind das soziale Medium der Region. Wir wissen mehr über Kempen als Google!"

Für die laufende Ereignis-- und Nutzerbeobachtung werden dazu (Micro-)Blogs, Foren, Youtubeviedos, Pressedatenbanken, Agenturfeeds, Communities und Webdomains durchsucht, und - vor allem - die Super-Quellen Facebook und WhatsApp angezapft; speziell der unter Teens und Twens besonders verbreitete Messengerdienst weist aufgrund seiner sagenhaften Öffnungsraten ankommender Nachrichten von 90 Prozent (bei 40 Prozent Klicks in den Content) das größte Diffusions- (und künftige Werbe-) Potenzial unter den social channels auf. Jeweils mehr als 53 redaktionseigene Facebook-Accounts und 48 Twitter-Profile richten den Suchprozess inhaltlich aus. "Worüber spricht das Netz? Was ist relevant? Das sind unsere Leitfragen," so der Kopf der in der Publizistikszene vielbeachteten Avantgarde-Einheit.

Fiene betont jedoch auch: Nicht die eingesetzte Technologie ist für eine sinnvolle Echtzeitauswertung des Kommunikationsstroms ausschlaggebend, sondern "Zuhören und Empathie. Dialog auf Augenhöhe reicht nicht mehr. Ich muss zugehen auf den Nutzer, ihm erklären, was da geschieht, und moderierend dabeibleiben." Ob sich da das Verhältnis zwischen Nachrichten-Aufnahme und Nachrichtenangebot da nicht tendenziell verwischen kann? Fiene verneint das. "Viralität ist nicht der alleinige Maßstab für den Stellenwert einer Nachricht." Ausgewählt werde unverändert nach journalistischen Kriterien.

Foto: JVH