Archiv, IHM

JVH hob Handwerker aufs Podest

Das erfolgreiche Format des Jahres 2013 auf der IHM wurde auch 2017 bereits im vierten Jahr fortgesetzt. Gemeinsam mit der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München stellte die JVH Aussteller der Sonderschau "Land des Handwerks" vor. Sie wurden auf der Bühne der Themenfläche „Fokus. Made in Germany“ in Halle C2 von wechselnden Interviewpartnern befragt.

Simon Graf, Vertriebsleiter aus Salach, "Alles was die Physik erlaubt", lesen
Tobias Köhler, Vertriebsmitarbeiter aus Göppingen, "Licht macht Räume nicht nur hell", lesen
Manfred Nagel, Modellbaumeister aus Moorenweis, "Modelle, schöner sein als das Original", lesen
Georg Nüssgens, Rollladen- und Jalousiebauermeister aus Aachen, "Markise per Smartphone steuern", lesen
Achim Oberle, Orthopädieschumachermeister aus Ettenheim, "Menschen beim Gehen helfen", lesen
Karl-Heinz Reuter, Feinwerkmechanikermeister aus Alzenau, "Löten im Vakuum", lesen
Hannes Riebl und Florian Harrer, Geschäftsführer aus Ergolding, "Vom Einzelkämpfer zum Global Player", lesen
Kersten Stöbe, Geschäftsführer aus Penzberg, "Ohne Ziele keine Daseinsberechtigung", lesen


Nils Bergauer

„Meine Handschuhe sitzen wie eine zweite Haut“
Nils Bergauer, Handschuhmacher aus Schneeberg fertigt Lederhandschuhe nach Maß. Auf museumsreifen Maschinen und mit dem Leder des südamerikanischen Wasserschweins haucht der 33-Jährige einem fast ausgestorbenen Beruf neues Leben ein.

Herr Bergauer, Ihre Produkte entstehen nicht nur von Hand, sondern auch für die Hand. Wie unterscheiden sich Ihre Handschuhe von handelsüblichen Handschuhen?

Also erstmal haben meine Handschuhe – genau wie handelsübliche Handschuhe – auch fünf Finger. Ich mache Handschuhe nach Maß. Das heißt, ich kann auch zwei linke machen. Wird ja auch manchmal gebraucht. Spaß beiseite: Meine Handschuhe unterscheiden sich vor allem durch die Passgenauigkeit. Die Hände sind sehr unterschiedlich, jeder Mensch hat andere Finger. In Einzelanfertigung können wir – im Gegensatz zur Standardkonfektionierung – das Produkt individuell anpassen, sodass der Handschuh sitzt wie eine zweite Haut.

Welches Material verwenden Sie?

Ich verwende vor allem Lamm-, Ziegen-, Hirsch- und Rehleder. Die Königsklasse unter den Lederarten ist das südamerikanische Wasserschwein Pekari. Dabei ist zu beachten, dass Leder ein sehr dehnbares Naturprodukt ist. Die Dehnbarkeit so zu bemessen, dass der Handschuh lange die Form und den Tragekomfort bewahrt – auch das unterscheidet mich von der Stangenware.

Wie kann man sich Ihre Werkstatt vorstellen?

Es sieht ein bisschen aus wie in einem Museum. Das hängt damit zusammen, dass es ein fast ausgestorbener Beruf ist. Da steht also keine CNC-Fräse herum, sondern da stehen Nähmaschinen von 1926. Da stehen Brenneisen, die haben noch so ovale Stecker wie man sie von alten Bügeleisen kennt. Das ist also echt historische Technik, gutes deutsches Handwerk. Und ich hoffe, dass ich damit auch noch zumindest bis zu meinem Rentenalter produzieren kann, denn neue Maschinen werden in diesem Bereich nicht mehr hergestellt.

Wie sind Sie zum Handwerk gekommen?

Meine Vorfahren sind seit 1876 Handschuhmacher gewesen. Ich komme aus den neuen Bundesländern. Mein Urgroßvater ist irgendwann enteignet worden, der Betrieb wurde verstaatlicht. Meine Großmutter war die letzte in der Familie, die dort in Heimarbeit Handschuhe genäht hat. Meine Kinderzeit habe ich bei ihr verbracht. Sie hatte immer einen Stapel Handschuhe neben sich liegen. Als ich 15 Jahre alt war, hat sie mir 100 Mark in die Hand gedrückt und gesagt „Geh’ zum Zahor und kauf dir ein Paar Lederhandschuhe.“

Ein einschneidendes Erlebnis?

Ja. Zahor war der einzige Handschuhmacher in meiner Heimat, der sich nach der Wiedervereinigung selbstständig gemacht hat. In seiner Werkstatt hatte ich den Ledergeruch in der Nase und habe die Werkzeuge gesehen. Ich habe begonnen, ihn über das Handwerk auszufragen. Er hat dann gesagt: „An einem Nachmittag ist das nicht erklärt.“ Also habe ich während des Abiturs und nebenher im Studium bei ihm mitgemacht.

Studiert haben Sie Wirtschaftspädagogik. Wie kam es, dass Sie am Ende trotzdem bei den Handschuhen gelandet sind?

2010 kam ein Anruf von Zahor: „Nils, Du bist der Einzige, dem ich gezeigt habe, wie es geht.“ Wegen einer Hüft-OP konnte er nicht arbeiten, also habe ich einen Stapel Bestellungen übernommen. Ich habe gemerkt, dass mir das Spaß macht. Es hat mich nicht mehr losgelassen. Deshalb habe ich mich mit dem Handwerk selbstständig gemacht.

Wie hat sich Ihr Unternehmen seither entwickelt?

Seit 2012 bin ich am Markt. Es ist jedes Jahr ein Stück gewachsen. Jetzt ist es schon so weit, dass wir Wartezeiten von 14 Wochen haben. Man kann grob sagen, dass vier Paar Handschuhe am Tag das Haus verlassen. Als ich angefangen habe, war mein Satz: „Handschuhmacher haben im Winter keine Zeit und im Sommer kein Geld.“ Aber das stimmt zum Glück nicht mehr.

Neben dem klassischen Winterhandschuh: Zu welchen Zwecken werden Ihre Handschuhe genutzt?

Wir machen auch Sporthandschuhe zum Reiten und zum Golfspielen. Cabrio-Handschuhe und Chauffeur-Handschuhe zum Autofahren. Gerade der Autofahrhandschuh erlebt derzeit eine Renaissance für die öffentlichen Verkehrsmittel. In der Straßenbahn und in der U-Bahn, wo man sich wirklich noch an der Stange festhalten muss und es Bakterien gibt, kommt der Handschuh als Accessoire wieder in Mode. Und dort hat er auch wieder einen praktischen Zweck.

Eigens für die Messe haben Sie einen Handschuh für eine spezielle Kundin angefertigt.

Ja, als ich gehört habe, dass die Bundeskanzlerin kommt, habe ich überlegt: Was könnte sie tragen? Und weil ja dieses Jahr Bundestagswahlen sind und die Farben da wichtig werden, habe ich für Angela Merkel einen Handschuh mit Wechselknöpfen entwickelt. Der Handschuh selbst ist schwarz. Mit einem roten Knopf kann man dann Schwarz-Rot herstellen, das wäre jetzt aktuell. Aber man könnte auch Schwarz-Gelb daraus machen. Grün wäre auch noch da. Nur einen braunen Knopf habe ich weggelassen.

Das Interview führten Marco Wedig und Christoph Fuchs
Foto: Michael Schuhmann